Ausstellung im Mies van der Rohe Haus, Berlin; Hasenkamp Transportsicherungsband auf 35 Wechselrahmen mit präsentierten Verpackungseinheiten; Projekttext: Thomas Wulffen; Editeur: Peter Funken; Kuratorin Wita Noack Berlin 1996; Unterstützung durch die Stiftung Kulturfonds Berlin und Roggenkamp GmbH
Bemerkungen zu einer Ausstellung von Fritz Balthaus im Mies van der Rohe Haus
Die Rahmen der vorherigen Ausstellung von Richard Paul Lohse wurden in Anzahl und Größe nachproduziert, vom Kunsttransporteur Hasenkamp mit blauem Glassicherungsband gesichert und anschließend auf die selben Nägel der Ausstellung Lohses gehängt.
Die Arbeit von Fritz Balthaus für das Mies van der Rohe Haus verschränkt Mikro- und Makroebene, Inhalt und Form, Bild und Kontext. Sie geht dabei einen Weg, der in der selbstreferenziellen kritischen Reflektion das ästhetische Momentum nicht als bloßes Supplement ansieht, sondern als integralen Bestandteil. Das ist vor allem der Funktion dieses ästhetischen Zugriffs zu verdanken. Wo an anderen Stellen sich dieses Ästhetikum nur dem Willen des Künstlers und der Vorstellung des Kunstwerks verdankt, ist in diesem Fall der Ausgangspunkt eine systemische Überlegung, die als ästhetisches Korrelat begriffen wird. Auf der Mikroebene wird der leere Glasrahmen mit blauen Klebestreifen versehen, die bei einem Glasbruch die Beschädigung des hinterv Glas liegenden Kunstwerks verhindern. Eine landläufige Technik der Transportsicherung. In Bezug auf die Makroebene, in diesem Fall die Institution, in der die Arbeit von Fritz Balthaus gezeigt wird, erhält diese Sicherung eine ästhetische Wertigkeit. Das Muster der Klebestreifen auf dem leeren Bildrahmen wird zur Referenz auf eine konkrete Kunst, die im Mies van der Rohe Haus einen wichtigen Platz in Berlin gefunden hat. Es bestände die Möglichkeit, die Transportsicherung außerhalb des spezifischen Kontexts ebensfalls als künstlerische Ingredienz zu sehen, dennoch verstärkt der Kontext diese spezifische Perspektive. Neben diesem systemischen Kontext, der Institution, tritt ein weiterer Kontext hinzu, auf den Fritz Balthaus in der Wahl der Bilderrahmen und deren Hängung direkt verweist. Beide, Bildrahmen und Hängung, sind eine Replik der Ausstellung, die zuvor stattfand und Siebdruckeditionen von Richard Paul Lohse zeigte. In diesem Bezug zeigt sich eine selbstreferenzielle, autopoietische Strategie, die sich nicht allein in der Synchronie vollzieht, sondern diachronisch argumentiert. Der Verweis auf die Ausstellung davor kann nicht nur rein formal verstanden werden, sondern er muß auch von Inhalt her betrachtet werden. Richard Paul Lohse, als Exponent einer konkreten Kunst, verband mit dieser Kunst und deren 'demokratischer' Beziehung zu den Elementen eine gesellschaftskritische Funktion von Kunst. Fritz Balthaus antwortet darauf mit Mitteln, die auf die Entwicklung dieser Gesellschaft rekurrieren. Dort, wo Richard Paul Lohse noch eine Utopie hochhält, setzt Fritz Balthaus im Verweis auf die Bedingungen der Darstellbarkeit, auf die konkrete Beschreibung des Faktischen. Das Faktische sieht Kunst als Teilsystem eines gesamtgesellschaftlichen Ganzen, das darin eingebunden ist und dies nur in den Grenzen des eigenen Systems überwinden kann. Dafür aber ist eine konkrete Analyse der Bedingungen und Möglichkeiten erste Voraussetzung. Es ist keinesfalls ein Widerspruch dazu, daß eine solche Analyse ästhetische Form annimmt. Als Dekonstruktion des Konstruktiven in einer selbstreferenziellen Strategie muß die Analyse ästhetische Form annehmen, weil die konstruktive Gestaltung selbst ebenfalls ästhetische Form angenommen hat. Die Delbstreferenz realisiert sich in einer paradoxen Verkehrung als Fremdreferenz und umgekehrt. Im Selbstbezug auf die eigenen Bedingungen realisiert sich modellartig eine kritische Reflexion des eigenen Systems, um in einem weiteren Schritt möglicherweise vom eigenen System auf das System hochzuschalten, das dieses System beinhaltet. Niklas Luhmann hat die folgende Frage gestellt: "Das soziologische Konzept eines Zusammenhangs von Ausdifferenzierung als System und semantischen Korrelaten, die Autonomie zur Reflexion bringen, spitzt demnach Problemstellungen zu. Was aber würde geschehen, wenn solches Wissen in das Kunstsystem selber eingeführt wird ?"* Die Ausstellung von Fritz balthaus im Mies van der Rohe Haus ist eine konkrete Antwort darauf.
Thomas Wulffen
* Niklas Luhmann: "Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems", Bern 1994, S. 54