im kontext von raum, bau und stadt

>Brunnen 4, 2019

vonhundert, #33, 09/2019, Berlin; Foto und Künstlertext, temporäre Intervention im Selbstauftrag, Kunstmuseum Basel, Gegenwart, St. Alban-Graben 16; Wasserhahn, geöffnet/geschlossen, Brunnen4 

Fritz Balthaus: Brunnen 4, 2019

>Lieber Søren Grammel,

 

... heute möchte ich Ihnen eine künstlerische Arbeit vorstellen, die bereits mit diesem Brief an Sie begonnen hat.

 

Vor kurzem habe ich eine „Installation“ im Kunstmuseum in Basel imaginiert. Darin ist der Wasserhahn auf der Dachterrasse des Museums der Hauptdarsteller, der in diesem künstlerischen Werk geöffnet, oder geschlossen ist – läuft, oder nicht läuft. Bei meinem letzten Besuch auf dem Dach des Kunstmuseums habe ich ihn spontan geöffnet und ein kurzes Video von dieser nach unten gerichteten, recht unkontrolliert plätschernden Fontäne gemacht. Wegen ihrer stillen „Gelassenheit“ empfinde ich sie als sehr schön. Ihnen müsste ich es im Grunde nicht weiter erläutern, kann mich dadurch aber noch einmal selbst vergewissern: In dem Moment, wo der laufende Wasserhahn als Kunstwerk interpretiert wird, ist Kunst und Bau nicht mehr voneinander geschieden, denn immer, wenn Kunst sich dem Kontext öffnet, ist Haustechnik nicht fern und die Begriffe dieselben. Auch Wasser-, Elektro- und Geldkreisläufe lassen sich nicht von Kunstkreisläufen trennen. Alle nennen sich gleichermaßen „Installationen“ und sind doch vollständig andere Medien mit unterschiedlichen Werteausstattungen. Im Sinne der Haustechnik ist der laufende Wasserhahn sinnlose Ressourcenverschwendung, im Sinne der Kunst hingegen ermöglicht er die Interpretation eines weit geöffneten Kunstwerks. Aus der alltäglichen Wasserrechnung wird ein zu bestreitendes Kunstbudget. Sogar die „Interpretation“ höchstselbst ragt auslegungstechnisch ins Werk hinein, vertatsächlicht sich als substanzieller Bestandteil der künstlerischen Arbeit. So kann der Brunnen auf der Terrasse des Kunstmuseums meiner Auffassung nach sogar als „Interpretationswerk“ verstanden werden.

 

… als Künstler habe ich es immer als wichtig erachtet, das mit der Zeit überflüssig Gewordene vom weiterhin Notwendigen zu trennen und nur noch die ästhetische Essenz des Letzteren zuzulassen. Daraus hat sich bei mir eine sehr zurückhaltende und doch aktive Arbeitshaltung entwickelt, die ich gerne „Lassenmachen“ nenne. Um allem „nicht Gemachten“ überhaupt zu einer beobachtbaren Existenz zu verhelfen, ist es nötig, dem Gelassenen eine Umgebung zu geben. Eine Umgebung in der Interpretation schon von Hause aus zu Hause ist. Hier im Kunstmuseum Basel, Gegenwart.

 

Im reflektierenden Rückblick ist mir die spontane und lapidare Öffnung des Wasserhahns immer wichtiger geworden, wohl auch deshalb, weil ich mit einem Schlage alles gelassen habe, was bei gewöhnlichen Kunstdefinitionen an trivialen Erwartungen eingefordert wird. Dieser „Brunnen“ hingegen entstand ohne Herstellungs- und Materialoperationen im Atelier eines Künstlers, ohne Kunsttransport und -„handling“ im Museum. Bisher sogar ohne die Einladung durch Sie als Kurator des Museums.

 

Das könnte als Tatsachenproduktion im leise plätschernden Raum freier Interpretation verstanden werden und wegen des umdeutenden Titels „Brunnen“ – ruft die zweckvolle Haustechnik alle natursteingefassten Brunnen und Epochenstile auf den Plan und in die produktive Vorstellung von Besuchenden. Technisch bleibt es der alte Wasserhahn aus dem Alltag. Unter Ihren kuratorischen Fittichen hätte er einen atemberaubenden Auftritt im wirkungsgewissen Resonanzraum kontextueller Reflexionen.

Was meinen Sie? Ich fände es einen gelungenen Coup von einem Kurator und Künstler, den unerlässlichen Nobilitierungsdurchlauf eines künstlerischen Werks durch den reichlich entzauberten Kunsthandel – mit seine rasenden Consultern – zu umgehen – und wie der Igel zum Hasen im Grimmsche Märchen rufen:

 

„Ick bün all dor“! Ich bin schon da!

 

mit herzlichem Gruß

Fritz Balthaus